Auslese 6/2011
"Eltern haften für ihre Kinder" – wirklich immer?
Wer kennt nicht die Schilder an den Baustellen-Absperrungen, Kinderspielplätzen, Sportanlagen etc.: "Eltern haften für ihre Kinder"
Selbstverständlich haben die Eltern für das Verhalten ihrer minderjährigen Kinder einzustehen, nicht jedoch immer und uneingeschränkt.
Die Schilder wären daher zu ergänzen durch: "wenn Sie Ihre Aufsichtspflicht verletzt haben und hierdurch ein Schaden entstanden ist."
Was ist die Aufsichtspflicht?
Die Aufsichtspflicht der Eltern beginnt mit der Geburt eines Kindes und endet mit dessen Volljährigkeit, somit mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Aufsichtspflicht nimmt jedoch mit steigendem Alter des Kindes sukzessive ab.
Eine allfällige Haftung der Eltern für ein Verhalten der Kinder kann nur aus einer Aufsichtspflichtverletzung begründet werden. Von der gesetzlichen Erziehungspflicht der Eltern ist umfasst, die Kinder entsprechend zu beaufsichtigen, sodass sie sich selbst und auch keinen Dritten Schäden zufügen, aber auch, dass den Kindern kein Schaden von Dritten zugefügt wird.
Die Haftung aus einer Aufsichtspflichtverletzung ist jedoch nicht unbeschränkt, vielmehr können Eltern nur in Anspruch genommen werden, wenn Ihnen ein Verschulden unterstellt werden kann.
Die Aufsichtspflicht umfasst:
- Betreuungspflicht
- Belehrungspflicht mit Anleitungs- und Kontrollpflicht - das Kind ist über mögliche Gefahrensituationen und falsches Verhalten aufzuklären und davor zu warnen. Dies betrifft insbesondere den Straßenverkehr
- Informationspflicht - wird die Aufsicht an Dritte übertragen, sind diese Personen umfassend über die Kinder zu informieren
Wer kann aus einer Aufsichtspflichtverletzung in Anspruch genommen werden?
Die Aufsichtspflicht trifft jeweils die Person, die zum Zeitpunkt des Schadensereignisses für das Kind verantwortlich war. Das muss nicht notwendigerweise immer ein Elternteil sein. Die Aufsichtspflicht kann ausdrücklich oder stillschweigend für kürzere oder längere Abstände Dritten übertragen werden. Vielmehr trifft die Aufsichtspflicht dann auch jeden, der die Obsorgepflicht für das Kind übernimmt. Für die Auswahl der fremden Aufsichtsperson sind die Eltern verantwortlich; ist diese Aufsichtsperson selbst nicht in der Lage, ausreichend auf das Kind aufzupassen, werden die Eltern durch die Übertragung der Aufsichtspflicht nicht aus ihrer Haftung entlassen.
Das können folgende Personen sein:
- Großeltern oder sonstige Verwandte
- Freunde, denen das Kind zur Aufsicht übergeben wurde
- Nachbarn
- Babysitter
- Personal von Kinderbetreuungseinrichtungen (auch Jungschar und Pfadfinder)
- Pädagogen, Lehrer, Ausbildner etc.
Wann ist eine Haftung denkbar?
Um diese Frage beantworten zu können, muss auch die Frage geklärt werden, ab welchem Alter grundsätzlich eine deliktische Haftung des Kindes infrage kommt.
Hier unterscheidet das Gesetz zwischen drei Gruppen:
- Personen unter 7 Jahren (Kinder)
- unmündige Minderjährige zwischen 7-14 Jahren
- mündige Minderjährige zwischen 14-18 Jahren
Eine Haftung der Eltern für ein deliktisches Verhalten der Kinder kommt nur bis zum 14. Lebensjahr in Betracht, mündige Minderjährige sind bereits selbst deliktfähig und somit selbst für deren rechtswidriges Verhalten belangbar.
Wurde im Zeitpunkt des rechtswidrigen Verhaltens die das Kind betreffende Aufsichtspflicht durch den Erwachsenen schuldhaft verletzt, muss die aufsichtspflichtige Person für diesen Schaden haften.
Wann trifft mich ein Verschulden?
Die Frage des Umfangs der Aufsichtspflicht hängt unmittelbar mit dem Alter des Kindes zusammen. Je jünger und unmündiger das Kind ist, umso größer ist die Verpflichtung des Erwachsenen, das Verhalten zu beaufsichtigen.
Beispiele für eine Aufsichtspflichtverletzung:
unbeaufsichtigtes Überlassung von Gegenständen an Kinder unter 10 Jahren, mit denen Dritte am Körper verletzt werden können (Pfeil und Bogen, Luftdruckgewehre, Messer etc.)
- Kleinkind spielt unbeaufsichtigt stundenlang auf der Straße
- unbeabsichtigte Benutzung von Liftanlagen
- unbeaufsichtigte Nutzung von Spiel- und Sportgeräten, insbesondere Inlineskates, Rodeln etc. durch einen unter 10-jährigen
- Krankes Kleinkind wird einer jugendlichen Babysitterin nächtelang zur Beaufsichtigung überlassen
- 5-jährigem werden unbeaufsichtigt Streichhölzer überlassen
- eine 4-jährige, die erstmals zu Besuch ist, wird unbeaufsichtigt ins Freie gelassen
- unbeaufsichtigtes Zurücklassen der Kinder in einer Küche während des Kochvorgangs, sei es mit offener Flamme oder kochendem Wasser etc.
- 3-Jähriger wird außerhalb der Wohnung der gehbehinderten Großmutter anvertraut
Beispiele, in denen die Aufsichtspflicht als nicht verletzt angesehen wird:
- 7-jähriger, der bei einer Rolltreppe nicht an der Hand geführt wird
- Kleinkind spielt mit seinen älteren Geschwistern in einer Sackgasse, die als Fußgängerzone gekennzeichnet ist
- unbeaufsichtigtes Queren einer Straße durch einen 10-jährigen
- eine 13-jährige gute Schwimmerin kann mit Gleichaltrigen allein ins Freibad gehen
- Sturz eines 12-jährigen aus dem Stockbett